05. April 2017
„Screenware“ gab’s im vergangenen Jahr. In diesem Jahr war konkretes Erleben der Digitalisierung angesagt. Die CeBIT wandelt ihr Gesicht – und im nächsten Jahr geht die weltgrößte Business-IT-Messe noch einen Schritt weiter. Dann öffnet sie ihre Tore nicht mehr nur für Fachbesucher, und sie verlegt ihren angestammten Termin vom März in den Juni.
Bitkom-Präsident Thorsten Dirks wurde nicht müde, den Unterschied der diesjährigen CeBIT zur vorangegangenen zu erklären: „Im vergangenen Jahr wurde hier in Hannover noch viel Screenware gezeigt, Software auf Bildschirmen. In diesem Jahr gibt es viel mehr Konkretes zu erleben“, sagte er schon zu Beginn der Messe. Genau das sei auch nötig, um die Menschen auf dem Weg der Digitalisierung mitzunehmen und für den Fortschritt zu gewinnen. So könne ein Beitrag zur Beseitigung des Fachkräftemangels gelingen – zurzeit können rund 51.000 offene Stellen in der IT- und Telekommunikationsbranche nicht besetzt werden. Dann habe die deutsche Wirtschaft gute Chancen, in der zweiten Halbzeit im Wettbewerb der Digitalisierung zu punkten. Die erste Halbzeit, in der es um Verbraucher zentrierte Geschäftsmodelle gegangen sei, sei klar an die USA mit Unternehmen wie Amazon, ebay und Google gegangen. Jetzt gehe es um das B2B-Geschäft, mit Themen wie Industrie 4.0, Smart Energy und Mobility. Hier könne die deutsche Wirtschaft ihre Stärken ausspielen – aber eben auch nur, wenn sie den Fachkräftemangel überwindet.
Zum konkreten Erleben der Digitalisierung auf der CeBIT 2017 gehörten unter anderem selbstfahrende Busse wie Olli, den IBM nach Hannover gebracht hatte. Verbunden mit IBMs Supercomputer Watson, transportiert er seine Passagiere nicht nur fahrerlos, sondern beantwortet auch deren Fragen. In einem Postbus aus der Schweiz konnten die CeBIT-Besucher auch selbst ausprobieren, wie es sich anfühlt, ohne Fahrer zu fahren.
Das Start-up Holoplot führte vor, wie digitale Steuerung Lautsprechersysteme so regeln kann, dass sich der Schall nicht wie üblich kugelförmig ausbreitet, sondern als quasi planare Schallfront. Der Vorteil: Durchsagen können gezielt auf bestimmte Bereiche in einer großen Halle gerichtet werden. Dort kommen sie in gut verständlicher Tonqualität an, während sie selbst in unmittelbar angrenzenden Bereichen kaum mehr gezielt wahrgenommen werden. Die Deutsche Bahn hat das System bereits getestet, um in großen Bahnhöfen die Verständlichkeit von Lautsprecheransagen zu steigern.
Volkswagen präsentierte seine Arbeit an einem intelligenten System zur Verkehrssteuerung – für das die Wolfsburger als erster Automobilhersteller einen superschnellen Quantencomputer einsetzen: Das Unternehmen nutzt die Bewegungsdaten von 10.000 Taxis in Peking, um Fahrwege zu optimieren. Nicht der jeweils kürzeste, sondern der schnellste Fahrweg soll unter Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage ermittelt, so Fahrzeuge besser im Straßennetz verteilt und der Verkehrsfluss verbessert werden.
Auch Telefónica zeigte auf der CeBIT, wie Digitalisierung konkret in unser Leben kommt – zum Beispiel über das Smart Shirt von 10Eleven9, das nicht nur den Puls misst und Ratschläge für eine gesunde Körperhaltung geben kann, sondern auch die Steuerung des Smartphones ermöglicht. Das Hemd nutzt dabei zur Analyse die IoT-Software-Plattform Geeny von Telefónica.
Ein anderes Beispiel: der Smart Cooler. Er misst nicht nur Innen- und Außentemperatur, kann so clever gesteuert werden und ruft bei Fehlfunktion automatisch einen Servicetechniker; er kontrolliert auch Energieverbrauch und Türöffnung, sodass er auch aus der Ferne intelligent bewirtschaftet werden kann. Ein leerer Kühlschrank gehört damit der Vergangenheit an.
Digitalisierung kann aber auch Leben retten, etwa der Angel Helmet. Eine Vielzahl an Sensoren misst permanent die Luftqualität, erkennt gefährliche Konzentrationen giftiger Gase und warnt nicht nur den Träger, sondern informiert über ein integriertes Kommunikationssystem auch die Leitstelle. So kann schnellstmöglich Hilfe kommen, falls sich ein Arbeiter nicht mehr selbst in Sicherheit bringen kann.
Noch einen Schritt weiter in Sachen Digitalisierung und Leben geht Neil Harbisson, der bereits auf dem Digital Innovation Day von Telefónica im September 2016 aufgetreten ist. Der Künstler gilt als erster Cyborg, weil er eine Digitalkamera implantiert hat, die es ihm erst möglich macht, Farben wahrzunehmen. Er ist von Geburt an farbenblind, erkennt nur Graustufen. Die Digitalkamera übersetzt die elektromagnetischen Wellen des Lichts in Schallwellen – jede Farbe ist einer bestimmten Tonhöhe zugeordnet, sodass Harbisson über eine Tonabfolge Farbzusammenstellungen erkennen kann.
Im kommenden Jahr will die CeBIT noch mehr konkrete Anwendungen für die Digitalisierung in unserem Leben präsentieren. Wir dürfen gespannt sein, ob und wie das gelingt.